Die beiden trafen sich nie, denn dazwischen lagen nicht nur 50 Meter, sondern auch viele Jahre. Aber vielleicht erklärt es, warum Historiker Buchenau irgendwann ein erhebliches Interesse rund um den in Hildesheim geborenen Terroristen Heißler entwickelte. Gemeinsam mit dem pensionierten Berufskollegen Karl Ulrich Gutschke, der zuletzt am Goethegymnasium unterrichtete, machte er sich auf die Suche nach Spuren von Rolf Heißler und seiner Familie. Von Gutschke kann man sagen, dass er noch deutlich dichter an Heißler und seiner Familie dran war. Der 75-Jährige ist nur ungefähr einen Monat jünger als Heißler, der am 3. Juni 1948 als Rolf Gerhard Leberwurst in Bayreuth geboren wurde und im Alter von zwei Jahren mit der Familie nach Hildesheim zog. Die Familie lebte damals in der Küchenthalstraße 64.
Beide Väter unterrichten damals am Josephinum. „Georg Heißler war in der 8. Klasse mein Latein- und Griechischlehrer“, erzählt Gutschke. Weil beide Väter zur erweiterten Schulleitung gehörten, habe es auch eine Reihe von gegenseitigen Besuchen gegeben. Rolf Heißler hingegen habe er nur einige Male gesehen. Vielleicht auch deshalb, weil der Gleichaltrige das Andreanum besuchte. Trotzdem reichte es aus, um ein Grundinteresse zu wecken. „Rolf Heißler hat mich mein ganzes Leben begleitet“, sagt Gutschke.
Gemeinsam fanden die beiden Lehrer über Archivstudien heraus, dass der Vater des späteren Terroristen ein höherer Funktionär bei den Nationalsozialisten war. Vor dem Krieg arbeitete er als Georg Leberwurst im Haus der Deutschen Erziehung in Bayreuth, wo er Geschäftsführer der Reichsfachschaft für Höhere Schulen im Nationalsozialistischen Lehrerbund war. Bei dem Lehrerbund habe es sich um eine verbrecherische Organisation gehandelt, meinen auch die beiden Lehrer. Weil er die Nazi-Ideologie in die Schulen brachte und damit später einen erheblichen Teil zu millionenfachem Leid und Sterben beitrug. Um seine Verantwortung zu verschleiern nannte sich Georg Leberwurst nach dem Krieg in Georg Heißler um.
Rolf Heißler trug den Spitznamen „Fury“ – die Furie.
Heißlers Sohn Rolf, über viele Jahre einer der meistgesuchten Terroristen in der Bundesrepublik Deutschland, war sogar innerhalb der RAF für seine Brutalität bekannt. Er trug den Decknamen „Fury“ – die Furie.„Wahrscheinlich war er der Mann fürs Grobe“, vermutet Buchenau.
Bilder aus Rolf Heißlers Hildesheim-Zeit sind rar. Eins hat Achim Balkhoff, früherer Scharnhorstschüler und heutiger Vorsitzender des VfV Borussia 06 Hildesheim, schon kurz nach Heißlers Tod am 18. Mai 2023 ausgegraben. Die Aufnahme ist von 1967 und erschien in den Schülerzeitungen Forum-Scharnhorst und Ecce. Ecce war die Publikation des Arbeitskreises Hildesheimer Schulen. Auf dem Bild posiert Heißler in Gangsterpose – schwarze Kleidung, Zigarette im Mundwinkel – in einem Park. Foto: Achim Balkhoff -Archiv
Die bekanntesten Taten der RAF waren die Ermordung des Generalbundesanwalt Siegfried Buback, des Vorstandssprechers der Dresdner Bank, Jürgen Ponto, und die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. Als die Entführung der Lufthansa Boeing 737 „Landshut“ durch ein befreundetes palästinensisches Kommando scheiterte, ermordeten die Entführer Schleyer. Später erklärte RAF-Mitglied Peter-Jürgen Boock, dass Heißler Schleyer getötet habe. Allerdings konnten die Ermittlungsbehörden dies nicht beweisen. Über Mittelsmänner stand Heißler vor vielen Jahren auch mit der HAZ in Kontakt – allerdings ohne sich konkret zu früheren Vorgängen oder Vorwürfen zu äußern.
Bei einem Schusswechsel mit der Polizei am 9. Juni 1979 in Frankfurt war Heißler schwer verletzt worden. Ein Gericht verurteilte ihn später zu lebenslanger Haft – auch deshalb, weil er zuvor an der niederländischen Grenze zwei Polizeibeamte erschossen hatte. „Augenzeugen berichteten, dass er ein ganzes Maschinenpistolenmagazin abfeuerte und einen Überlebenden am Ende mit einem Genickschuss hinrichtete“, berichtet Buchenau. Nach 19 Jahren Haft wurde Rolf Heißler am 26. Oktober 2001 auf Bewährung entlassen. Seit dieser Zeit lebte er im Frankfurter Gallusviertel. Reue über seine Taten äußerte der frühere Andreaner bis zu seinem Tode nicht.
Text und Fotos (3): Archiv der Hildesheimer Allgemeinen Zeitung vom 08.7.2024